Infomail Wissenschaft – Ausgabe 01, April 2018

 

INHALT:

Auf zu neuen Ufern! von Cornelia Kühhas, Naturfreunde Internationale – respect
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Fokus Mensch im Studium von Daniel Binder, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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Kompetenzzentrum für Nachhaltigen Tourismus in Thailand und Vietnam von Harald A. Friedl, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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UN-Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung – wegweisende Utopie oder grüner PR-Gag?
Ein Diskurs zwischen Harald A. Friedl (FH JOANNEUM) und Cornelia Kühhas (NFI)
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AUF ZU NEUEN UFERN!

von Cornelia Kühhas, Naturfreunde Internationale
 

Die Tourismusbranche boomt und die Jubelmeldungen über neue Buchungsrekorde überschlagen sich. Dem gegenüber stehen dramatisch zunehmende Treibhausgasemissionen, die Zerstörung von Lebensräumen, die Übernutzung der natürlichen und kulturellen Ressourcen und die Ausbeutung im Tourismus beschäftigter Personen. Und immer lauter werden die Proteste von Einheimischen, die sich von der Touristenflut überrollt fühlen. Das Schlagwort „Over Tourism“ geistert durch die Medien. Die Gründe dafür sind vielschichtig – einer ist die unkontrollierte Tourismusentwicklung, die vielfach über die Köpfe der Einheimischen hinweg stattgefunden hat, oft ohne Berücksichtigung der lokalen natürlichen und kulturellen Gegebenheiten.
 
Dass es auch anders geht, zeigen zahlreiche gemeinsam mit der Bevölkerung umgesetzte Pilotprojekte, darunter auch die Initiative „Landschaft des Jahres“ der Naturfreunde Internationale (NFI), die sich seit gut 20 Jahren für eine nachhaltige Tourismusentwicklung einsetzt. 

Landschaft des Jahres Senegal/Gambia
Foto: Doris Banspach


Seit 1989 erklärt die NFI jeweils für zwei Jahre eine grenzüberschreitende und ökologisch wertvolle Region zur Landschaft des Jahres. Das Leitziel jeder Landschaft des Jahres ist die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung der ausgewählten Region. Das Projekt setzt an den aktuellen Herausforderungen an, erarbeitet gemeinsam mit der Bevölkerung und den regionalen Interessensgruppen Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung und initiiert entsprechende Maßnahmen. 2018/2019 steht zum ersten Mal eine Region in Afrika im Mittelpunkt der Aktivitäten: die Grenzregion zwischen Senegal und Gambia. 
Die beiden Länder leiden stark unter den Folgen des Klimawandels, wie Wasserknappheit, Wüstenbildung und Küstenerosion. Mamadou Mbodji, Vize-Präsident der NFI und Koordinator der „Landschaft des Jahres Senegal/Gambia“ berichtet: „Im Senegal leben etwa zwei Drittel der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Die Erträge sind auf Grund ausbleibender Regenfälle jedoch dramatisch zurückgegangen, sodass die Menschen in den Dörfern ihre Lebensgrundlage verlieren. Für viele Menschen ist die Abwanderung die einzige Option – zunächst in die Städte, in einem zweiten Schritt auch nach Europa.“

Lokale Initiativen
In Gambia herrscht Aufbruchsstimmung, nachdem die über 20-jährige Gewaltherrschaft von Yahya Jammeh 2017 beendet wurde. Perfekte Voraussetzungen für die Intensivierung der Zusammenarbeit der beiden Länder. Mit der Erklärung der Grenzregion zur „Landschaft des Jahres“ möchte die NFI positive Anreize für die Entwicklung der Region setzen. 
Ein Schwerpunkt liegt auf der behutsamen Ankurbelung eines nachhaltigen Tourismus, der Einkommen für die Bevölkerung schafft. Das Land hat alle Voraussetzungen dazu: Der Gambia River ist eine beeindruckende Lebensader mit vielfältigen Naturschutzgebieten, in denen Wildtiere wie Schimpansen, Krokodile oder Flusspferde leben. Und auch kulturell hat die Region viel zu bieten.

Just Act!
Ein wichtiger Partner für die Umsetzung der Aktivitäten ist die 2010 gegründete Initiative JUST ACT Gambia – Janjanbureh Uniting Sustainable Tourism and Community Training. "Mein Ziel war es immer schon, mit einem nachhaltigen Tourismus ein wirtschaftliches Standbein für die Bevölkerung in meiner Heimat Janjanbureh aufzubauen", sagt Omar Jammeh, der Direktor von JUST ACT. Er hat sein Studium am ITTOG, dem Institut für Reisen und Tourismus in Gambia, im Sommer 2010 abgeschlossen und kehrte damals nach Janjanbureh zurück, um an der Erstausbildung als lokaler Tourguide von JUST ACT teilzunehmen. 
Janjanbureh, früher Georgetown, liegt auf der Janjanbureh-Insel im Gambia River. Auf der 20 km2 großen Insel leben etwa 4.000 Menschen. „Früher kamen viele Touristinnen und Touristen zu uns auf die Insel, die von Guides geführt wurden, die von der Küste stammten und nur wenig Ahnung über die Natur- und Kulturschätze hier in der Region hatten“, so Omar Jammeh. Zudem brach der Tourismus in der Region in den 1990er-Jahren ein, da der Schiffsverkehr durch den Bau von neuen Straßen an Bedeutung verlor und weniger Gäste den Weg nach Janjanbureh fanden. Seit 2010 ist Janjanbureh über eine neue Brücke wieder gut erreichbar.
 
„Um einen nachhaltigen Tourismus in der Region Janjanbureh aufzubauen, braucht es das nötige Wissen, klare Konzepte und das Verständnis sowohl für die Akteure im Tourismus als auch für die Einheimischen.“ Omar Jammeh, Direktor von JUST ACT Gambia

 

Landschaft des Jahres Senegal/Gambia
Foto: Doris Banspach


 
Eine Perspektive für junge Menschen
JUST ACT setzt bei der Wiederbelebung des Tourismus auf die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung – und insbesondere auf die jungen Menschen, die hier leben. Viele von ihnen zieht es in die größeren Städte oder nach Europa. Mit dem Aufbau des Tourismus sollen sie wieder eine wirtschaftliche Perspektive in ihrer Heimat bekommen. Omar Jammeh: „Wir vermitteln den jungen Leuten die Bedeutung unseres kulturellen Erbes und der Traditionen und binden sie in die Tourismusentwicklung ein. So haben wir bisher 13 junge Menschen zu Tourguides ausgebildet.“ Und es gibt immer neue Ideen und Pläne, wie aktuell die Errichtung einer Eco-Lodge oder die Entwicklung nachhaltiger Reiseangebote. So sollen die Gäste auf Bootstouren entlang des Gambia Rivers Einblick in die Naturschätze und die Lebensweise der Bevölkerung bekommen, mit Stopps und Nächtigungen in Unterkünften, die von Einheimischen betrieben werden. 
Wichtig für das soziale Leben und die kulturelle Identität in der Region sind Feste, die auch wieder TouristInnen anlocken. Im Jänner 2018 wurde anlässlich der Eröffnung der „Landschaft des Jahres“ das traditionelle Kankurang-Fest in Janjanbureh gefeiert. Die Kankurang-Maskeraden-Tradition bildet einen integralen Bestandteil der Initiationsriten und -rituale der Madinka. „Wir freuen uns, dass dank der "Landschaft des Jahres“ das Kankurang-Festival wieder nach Janjanbureh zurückgekehrt ist“, sagt Omar Jammeh.
 
Neben der Schaffung von touristischer Infrastruktur soll auch die regionale Landwirtschaft und Fischerei gestärkt werden. Die Bauern werden in ökologischen Anbaumethoden – etwa der Permakultur – geschult, um hochwertige Lebensmittel zu produzieren. Eine Fischfarm im Gambia-Fluss ist in Planung. 

Mehr Informationen über JUST ACT! Gambia


 

FOKUS MENSCH IM STUDIUM

von Mag. (FH) Daniel Binder, Senior Lecturer am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg

Am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement werden ab Herbst 2018 drei neue Studienrichtungen zu den Themen Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement, Gesundheitsmanagement und Public Health sowie Sport- und Eventmanagement angeboten. Die verbindende Klammer stellt den Menschen in unterschiedlichen Perspektiven dar.

FH Joanneum Bad Gleichenberg
Foto: FH JOANNEUM Bad Gleichenberg


 
Der durch den Bologna-Prozess in Schwung gekommene Wandel am tertiären Bildungsmarkt brachte in den letzten Jahren viele Veränderungen hinsichtlich des Angebotes und der Durchlässigkeit von Studienrichtungen in Österreich mit sich. Vorwiegend allgemeinbildende, breit aufgestellte Bachelor-Studiengänge vermitteln den Studierenden häufig, sich nicht allzu tief auf ein Themenfeld eingelassen zu haben. Der Wunsch nach Spezialisierung in einem konsekutiven Master-Studium wird laut. Bad Gleichenberg, bekannt als touristisches Ausbildungszentrum, wartete noch nie auf ankommende Trends, sondern kreiert diese schon vorab. So auch in den ab Herbst 2018 neu angebotenen Studienrichtungen, die die Einzigartigkeit des kleinsten Hochschulstandortes Europas aufzeigen und allesamt den Menschen in den Fokus stellen.

Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement
Gerade retour gekommen von der ITB Berlin, trägt eine alt bekannte Herausforderung ein neues Kleid und verhüllt sich hinter dem Deckmantel „OverTourism“. Wie viel ist zu viel, und wie viel ist notwendig, damit Gäste genießen und sich gut erholen können, damit die Bereisten profitieren und die bewunderte und genutzte Natur weiterhin gedeiht? Solchen topaktuellen Fragen widmen sich die Studierenden dieser zukunftsorientierten Studienrichtung. Aufbauend auf Management Skills, Leadership und Projektmanagement konzentriert sich Mann und Frau im Studium u.a. auf Themen wie Service Design, Balanced Ressource Management, Destinationsentwicklung oder Regionalmanagement. Ziel ist es umsichtig agierende, und gerade deshalb auch erfolgsorientierte Netzwerkerinnen und Netzwerker der Freizeit- und Tourismusindustrie ein Stück ihres Weges zu begleiten. Inhalte wie Gesundheitstourismus, Well-being, Spa Management oder Kultur- und Naturtourismus ziehen sich ebenfalls durch die Studienrichtung und verleihen ihr so ihren österreichweit und international einzigartigen Charakter.

FH Joanneum Bad Gleichenberg
Foto: FH JOANNEUM Bad Gleichenberg


Gesundheitsmanagement und Public Health
Immer älter, immer gesünder, immer aktiver… nur, wer zahlt das alles? Welche öffentlichen oder privaten Systeme können/werden unseren fortschreitenden Lebensabend finanzieren? Treffen wir heute schon die richtigen Entscheidungen dafür? Und was hat das alles mit Gesundheit, Ökonomie und Politik zu tun? Die Studierenden dieser Studienrichtung gehen diesen Fragen nach und versuchen realisierbare Lösungsansätze zu entwickeln. Sie tun dies forschungsbasiert und unter zu Hilfenahme geprüfter Instrumente der Sozial- und Gesundheitswissenschaften. Die zentralen Elemente der Studienrichtung sind Public Health, Gesundheitsökonomie, Gesundheitsförderung sowie Empowerment und das Management gesundheitsorientierter privater oder öffentlicher Einrichtungen. Die Absolventinnen und Absolventen arbeiten in diesen noch eher jungen Fachgebieten und entwickeln diese stetig weiter.

Sport- und Eventmanagement
Sportgroßveranstaltungen wie Olympische Spiele oder Fußball-Weltmeisterschaften wären ohne professionelles Management nicht mehr durchführbar. Zu mannigfaltig sind die Anforderungen an Sicherheit, Prozessmanagement und Personalplanung. Jedoch auch jeder noch so kleine Vereinsevent unterliegt gesetzlichen Bestimmungen, wie Hygieneverordnung, Sicherheitsstandards oder steuerrechtlichen Belangen. In Kombination mit der Vermarktung, dem Kartenverkauf, dem Management von Sportlerinnen und Sportlern und der Betreuung der Sponsoren wird aus einer Laufveranstaltung schnell ein Projekt, welche professionell geplant und durchgeführt werden muss. Hier setzt die Studienrichtung an und bildet Absolventinnen und Absolventen an der Schnittstelle zwischen Sportvereinen, Event-Agenturen und dem Management von Athletinnen und Athleten aus. 

Termine und weiterführende Information 
Die Bewerbung für alle drei Studienrichtungen ist ab sofort bis 28. Mai 2018 hier möglich. Das schriftliche Aufnahmeverfahren findet am 2. Juli 2018 statt.
Studienstart ist der 1. Oktober 2018. Alle notwendigen Informationen für Bewerbung und Aufnahmeverfahren sowie detaillierte Lehrinhalte und Stories rund um das Studium erfahren Sie hier:  


 

KOMPETENZZENTRUM FÜR NACHHALTIGEN TOURISMUS IN THAILAND UND VIETNAM

von Harald A. Friedl, Professor für Nachhaltigen Tourismus, CSR und Ethik an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg


Thailand und Vietnam gelten seit Jahren als Traumdestinationen Südostasiens, die im letzten Jahr gemeinsam 44 Mio. Besucher anlockten. Gezielte Werbung soll das anhaltende Wachstum weiter steigern. Doch könnte dieser Plan an überfüllten Stränden, allgegenwärtigen Müllmassen und zunehmender Kriminalität scheitern. Im Rahmen eines internationalen Forschungs- und Entwicklungsprojekts werden nun mit Hilfe der FH JOANNEUM Kompetenzzentren für nachhaltigen Tourismus in diesen Paradiesen entwickelt, um Tourismus zukunftsfähig zu gestalten ...

Kompetenzzentrum Nachhaltiger Tourismus Thailand und Vietnam
Foto: Claudia Linditsch


Palmengesäumte Strände, üppige Regenwälder, farbenprächtige Märkte, duftende Köstlichkeiten, inspirierende Tempellandschaften … An Attraktionen zu bieten haben Thailand und Vietnam im Überfluss, was auch erfolgreich weltweit vermarktet wird. Thailand steht mittlerweile auf Platz 3 der Liste jener Länder mit den weltweit höchsten Tourismuseinnahmen von 50 Mrd. US-Dollar. Bis zum Jahr 2020 soll die Zahl der zuletzt 33 Millionen BesucherInnen auf 50 Millionen ansteigen. Das klingt keinesfalls utopisch, denn vor 12 Jahren kamen „nur“ 14 Mio. TouristInnen ins südostasiatische Königreich. Zudem suchen chinesische Reisekunden, irritiert über Terroranschläge in Europa, nach sicheren Alternativen vor der Haustüre. Als Variante steht auch Vietnam offen. Das einstige Bürgerkriegsland wurde zuletzt von 10 Mio. TouristInnen „entdeckt“, und alle Zeichen stehen auf Wachstum …

Keine andere Region der Welt erlebte eine solche Explosion des Fremdenverkehrs. Die Schattenseiten dieses wirtschaftlichen Hoffnungsträgers werden jedoch zunehmend zur kritischen Herausforderung. So musste etwa „Maya Beach“, einst Kulisse im Hollywood-Streifen „The Beach“ und nun touristische Hauptattraktionen der Region, wegen Überfüllung und drohendem Kollaps des betroffenen Nationalparks von der Regierung gesperrt werden. Der Fall steht beispielshaft für den üblichen Umgang mit Abwasser und Abfällen: Aus den Augen, aus dem Sinn, mit der Folge, dass Thailand zum größten regionalen Verursacher der ozeanischen Kunststoffverseuchung zählt.

Umweltschutz ist Ausdruck veränderter Umweltverhältnisse

Verändern sich Wirtschafts- und Lebensbedingungen, dann müssen auch Anpassungen im Umgang mit Ressourcen folgen, um zukunftsfähig zu bleiben. Dies gilt erst recht für den Tourismus, der wesentlich durch bezaubernde Naturkulissen motiviert ist, wie in Österreich oder Südostasien der Fall. Also muss sich etwas ändern.

Das wissen auch die Konsortiumsmitglieder des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „TOURIST - Competence centres for the development of sustainable tourism and innovative financial management strategies to increase the positive impact of local tourism in Thailand and Vietnam“, Hochschulexperten aus Vietnam und Thailand sowie Spanien und Finnland. Mit ihnen gemeinsam verfolgt das Projektteam der FH JOANNEUM in Graz und Bad Gleichenberg, Claudia Linditsch und Harald A. Friedl, das Ziel, Kompetenzzentren für nachhaltigen Tourismus und Crowdfounding im Umfeld von Universitäten der südostasiatischen Partnerländer aufzubauen. Bis 2020 sollen dort Infrastruktur, Personal und Netzwerke entwickelt werden, um möglichst viele Stakeholder aus der Urlaubsbranche zu qualifizieren und als Multiplikatoren in allen Bereichen der Tourismuswirtschaft einzusetzen. Finanziert wird diese Initiative im Rahmen des EU-Programm „Erasmus+“ mit rund 915.000 Euro.

Thailand Nachhaltiger Tourismus
Foto: Claudia Linditsch


Jedes noch so großes Wagnis beginnt mit dem ersten Schritt. Dieser wurde Ende Februar 2018 an der FH JOANNEUM in Graz gesetzt, wo sich 36 Teammitglieder aus zwei Kontinenten und zehn Instituten zusammenfanden, um zunächst ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit im Tourismus zu erarbeiten und die nächsten methodischen Arbeitsschritte zu definieren. Zunächst werden mittels weitreichender Expertenbefragungen die wesentlichen Ausbildungsbedürfnisse in Thailand und Vietnam erhoben. Als Antwort darauf werden gemeinsam Kurse für zukünftige TrainerInnen entwickelt, wobei europäische Standards und Best-Practice-Beispiele wichtige Grundlagen liefern. Umgesetzt werden diese Schulungen bereits im kommenden Herbst in Südostasien.

Grau ist alle Theorie, und Zusammenarbeit braucht vor allem gegenseitiges Vertrauen in menschliche und fachliche Kompetenz. Diese gemeinsame Basis entwickelte sich im Zuge abendlicher Exkursionen in charmante Studentenlokale der Grazer Innenstadt und zu Gourmet-Leuchttürmen des nachhaltigen Tourismus in der Südoststeiermark, der Vulcano Schinkenmanufaktur und dem Zotter-Schokoladentheater im „Steirischen Vulkanland“. Bei so vielen Glückshormonen wurden selbst ernsthafteste Projektthemen zum Hochgenuss …

Projektleiterin: Claudia Linditsch, MA, von Institut für Internationales Management der FH JOANNEUM in Graz.
Wissenschaftlicher Projektleiter: Prof. (FH) Dr. Harald A. Friedl (harald.friedl@fh-joanneum.at) vom Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg.


 

UN-JAHR DES NACHHALTIGEN TOURISMUS FÜR ENTICKLUNG – WEGWEISENDE UTOPIE ODER GRÜNER PR-GAG? 

Ein Diskurs zwischen Harald A. Friedl (FH JOANNEUM) und Cornelia Kühhas (NFI)

Vergangenes Jahr feierten UNO, UNWTO und der Rest der Welt das Internationale Jahr des „Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung“. Was aber blieb nach diesen 365 Tagen des Ringens um touristische Beiträge zu den globalen Entwicklungszielen der UNO? Wie viel mehr an Nachhaltigkeit findet sich auf dem „bereisten“ Globus? Oder war all das Gerede um Nachhaltigkeit nur ein professionell platzierter PR-Gag?

Harald A. Friedl, Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg, und Cornelia Kühhas, Expertin für Nachhaltige Tourismusentwicklung, Entwicklungszusammenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit bei NFI, wagten das Vergnügen eines Diskurses über diese schwierige Frage …


Friedl: Tourismus gilt für die Wirtschaft als eine der verlässlichsten Wachstumslokomotiven, und für den Konsum als kulturell etablierte Form des „gelebten Glücks“. Darum konvertiert Österreich eher zum radikalen Nichtrauchertum als sich im Reisekonsum einzuschränken.

Kühhas: Nicht der Tourismus per se ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie die Tourismusentwicklung voranschreitet. Ich denke, es gilt, Konsummuster zu verändern. Oft beklagen KonsumentInnen, dass sie keine entsprechenden Angebote finden. Die Reisewirtschaft wiederum argumentiert, dass die Nachfrage nach fairen Reisen gering sei. Diese Spirale gilt es aufzubrechen. Mit Information und Sensibilisierung, mit mehr Bewusstsein und Motivation – und einem entsprechenden Angebot an attraktiven nachhaltigen Reiseangeboten.

Friedl: Auch ich bin überzeugt davon, dass die Entwicklung und Ausweitung neuer Märkte die Chance eröffnen, touristische Nachfragemuster in eine „nachhaltigere“ Richtung zu lenken. Die Bereitstellung von hilfreicher Information ist zweifellos eine notwendige, keinesfalls aber hinreichende Maßnahme, um Konsummuster aufzubrechen. Andernfalls wären Ärzte die am gesündesten lebenden Menschen. Nur leider ist Verhaltensänderung aus neurobiologischer Sicht energieaufwändig und erfolgt darum nur zur Vermeidung von „Schmerz“ oder zur „Mehrung“ von Lustgewinn. Darum wird Tourismuswachstum von Investoren forciert und von Touristen genutzt, solange sich Kosten – wie steigende Schneegrenzen, verdreckte Strände oder soziale Unruhen – abwälzen bzw. verdrängen lassen.

Kühhas: Die TouristInnen buchen das, was angeboten wird. Bei der Fülle an Angeboten am Markt braucht es fundierte, unabhängige Information, um nachhaltige von weniger nachhaltigen Angeboten unterscheiden zu können. Man denke nur an die Flut an Gütesiegeln im Tourismus – hier ist es wichtig, über die Qualität der Siegel aufzuklären und Orientierung zu geben. Aus diesem Grund ist die Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung von KonsumentInnen auch ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Und: Nachhaltig Urlaub machen bedeutet doch Lustgewinn! Nachhaltiger und fairer Tourismus bietet hohe Qualität, authentisches Erlebnis, Erholung in naturnaher Umgebung, Begegnungen mit der Bevölkerung, qualifiziertes und engagiertes Personal, ... alles, was ein lustvolles Urlaubserlebnis ausmacht! Tourismus kann und muss sowohl für Reisende, als auch für die GastgeberInnen eine positive und sinnstiftende Erfahrung sein. Das Ziel muss sein, gegenseitiges Verständnis und Respekt zu fördern.

Friedl: Zweifellos sind nachhaltige Urlaubsprodukte stärker mit positiven Emotionen aufzuladen. Doch stellt sich die Frage, ob das „Prädikat nachhaltig“ Kunden nicht abschreckt, weil das Konzept sperrig und widersprüchlich wirkt. Mögen auch fürs Marketing passendere Begriffe helfen, so erscheint es mir dennoch wichtig, weiterhin Nachhaltigkeit zu thematisieren, um dessen Bedeutung zu unterstreichen, gleichsam als Lobbying für unsere „Enkerltauglichkeit“.

Kühhas: Und daneben braucht Nachhaltigkeit ein globales Konzept und konsequente Gesetzgebung. Ohne gesetzliche Rahmenbedingungen bzw. vorgeschriebene Standards, die für alle gelten – gerade was den Umweltschutz und Soziales angeht – wird es wohl nicht gehen. Tourismus ist noch immer mit Ausbeutung verbunden – Ausbeutung der Natur und der Menschen, die in der Branche arbeiten oder in den Destinationen leben.

Friedl: Eine solche einheitliche Regelung wäre schön, doch geht die Entwicklung seit langem in Richtung Individualisierung und Meinungsvielfalt anstatt in Richtung Vereinheitlichung. Das macht es nicht leichter und erfordert neue strategische Lösungsansätze zur politischen Meinungsbildung. Ein Ansatz von unten ist die Marktsteuerung durch Anreizsignale. So reagieren etwa gebildete Menschen sensibler auf die Folgen von „Over-Tourism“, der ihren Konsumgenuss beeinträchtigt. Dann sind Konsumenten eher bereit, höhere Preise für Produkte zu zahlen, die - wie das „Österreichische Umweltzeichen“ - „Genussförderung“ suggerieren. Dies kann manche negativen Tourismuseffekte reduzieren, vor allem aber fördert es weiteres Tourismuswachstum.

Kühhas: Mir fehlt bei der herrschenden Diskussion um nachhaltigen Tourismus ein klarer Fokus auf die Menschen in den Destinationen und ihre Bedürfnisse. Der Tourismus kann nur dann zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, wenn er auch die Lebenssituation der ansässigen Bevölkerung verbessert sowie Ungleichheit und Armut verringert. Tourismus soll ja für alle – Reisende wie Gastgeber – ein Gewinn sein. Es geht also um eine qualitative Entwicklung des Tourismus.

Friedl: Absolut, es geht nicht um „mehr“, sondern um „anders“. Gegenteilige Signale meine ich bei der UNWTO wahrzunehmen, was nicht überrascht. Deren politische Karriere ist eng mit dem globalen Tourismuswachstum verknüpft.

Kühhas: Ganz wichtig, gerade auch im Hinblick auf die Erreichung der Ziele der Agenda 2030, ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Die kommt derzeit zu kurz. Hier ist auch die UNWTO gefordert, etwa durch die Etablierung von Beschwerde- und Überprüfungsmechanismen.

Friedl: Paradoxerweise schrumpft mit zunehmender Bedeutung der UNWTO ihr Gestaltungsspielraum für konstruktive Tourismuspolitik, denn eine Infragestellung des Wachstumsparadigmas käme politischem Selbstmord gleich. Darum ist es leichter, lauthals und allgemein „nachhaltigen Tourismus“ zu beschwören, anstatt konkrete Rechte für betroffene Bevölkerungsgruppen einzufordern, etwa auch in Form von Tourismusschrumpfung – wie im Fall von Barcelona, Venedig oder Salzburg. Warum nicht emissionsarmen und stressfreien „Urlaub daheim“ bei regionalen Produzenten …?

Kühhas: Das kann ich nur unterstreichen. Nachhaltiger Tourismus muss raus aus der „Verzichtsschiene“ – und letztendlich Mainstream werden ...

Friedl: Dafür spielt Bildung im Sinne einer Sensibilisierung für die wertvollen, wichtigen Dinge eine zentrale Rolle: ein gesundes Leben in einer sauberen Umwelt inmitten einer qualitativ wachsenden Region mit kreativen, glücklichen Menschen. Da muss ich sofort an unseren neuen Studiengang „Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement“ denken, der im Herbst mitten im steirischen Vulkanland – mit all seinen Köstlichkeiten und Schönheiten – starten wird …