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Afterwork im Reisebüro – als Gruppe unterwegs
Afterwork im Reisebüro – als Gruppe unterwegs

Afterworks im Reisebüro: Klassen-, Matura- und Gruppenreisen – Als Gruppe nachhaltig unterwegs?!

Hat die Nachhaltigkeit bei Party Pause? Klassen- und Maturareisen der Generation „Fridays for Future“ (5. Mai 2022)
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Als Gruppe nachhaltig unterwegs?! Die Klassen- und Maturareise als Anstoß zu einem verantwortungsbewussten Reiseverhalten (24. Mai 2022)

 
Freitags wird für das Klima demonstriert, doch auf die Klassen- und Maturareise möchte man trotzdem nicht verzichten. Die Generation „Fridays for Future“ stellt neue Ansprüche an die Reisebranche. Schlagworte wie Klimaneutralität, CO2-Kompensation, Flugscham und kultureller Austausch scheinen da im Widerspruch zu Party, Spaß und Instagram-Stories zu stehen. Reisebüros stehen hier einmal mehr vor der Herausforderung, eine Brücke zu schlagen zwischen den Ansprüchen einer bewussten Generation und den Realitäten der Reisewelt.

Wir sprachen mit unseren Gästen MARTIN AUER (Scientists for Future), IDA PLONER (Fridays for Future) und HEINRICH HOCHEGGER & BETTINA KAGER (Cooltours), ELISABETH KNEISSL-NEUMAYER & SABINE SCHALLER (Kneissl Touristik), JULIA BALATKA (JB Travel) und MICHAELA R. REISINGER (Lebensart Magazin) im Büro unseres Gastgebers RICHARD SENFT (Enjoy Reisen) von „Wir sind Reisen“ darüber, ob dieser Widerspruch tatsächlich existiert und wie es gelingen kann, diese Brücke zu schlagen; ob eine lange, erdgebundene, individuell gestaltbare Maturareise mit kulturellem Austauschprogramm als Produkt überhaupt machbar ist; ob die Reise in der Gruppe tatsächlich nachhaltiger ist als das individuelle Reisen; welche Besonderheiten bei Reisen in der Gruppe zu berücksichtigen sind, und ob die nachhaltige Maturareise als Einstiegsprodukt für zukünftige nachhaltige Gruppenreisen genützt werden kann.

Afterwork im Reisebüro
Martin Auer (Scientist for Future), Kerstin Dohnal (Moderation), Ida Ploner (Fridays for Future) (Photo: NFI)
Afterwork im Reisebüro
Julia Balatka/JB travel & Kerstin Dohnal (rechts oben); Elisabeth Kneissl-Neumayer & Sabine Schaller (Kneissl Touristik) (Mitte links), Bettina Kager & Heinrich Hochegger (Cool Tours) (Mitte rechts); Michaela R. Reisinger (Lebensart-Magazin) (unten)


Welche Ansprüche stellen junge Menschen an ihre Klassen- und Maturareisen?

Ida Ploner, Schülerin und Aktivistin der Fridays for Future Bewegung erklärt, dass die jungen Menschen auf Klassen- und Maturareisen zwar nicht auf das Feiern verzichten möchten, die Definition von Party und einer guten Zeit allerdings jenseits des Klischees der oft zitierten „Sauftour“ liegt. Viel mehr wünsche man sich die gemeinsame Zeit in der Klassengemeinschaft in einer schönen Umgebung mit spannenden Aktivitäten und Austausch mit Gleichgesinnten. Dass es keine 100-prozentig nachhaltige Maturareise geben kann, ist Ida Ploner bewusst. Man will auch nicht mit dem Zeigefinger auf Klima- bzw. Nachhaltigkeitssünder*innen zeigen, wenn z.B. mit dem Flugzeug angereist wird. Trotzdem sollte das Bewusstsein auch entsprechend gelebt werden – auch auf der Maturareise. Ein entsprechendes Angebot an nachhaltigen Maturareisen würde gerne angenommen.

Bedeutet nachhaltig reisen den Verzicht auf Spaß und Party?

Natürlich dürfe dabei auch die eine oder andere durchtanzte Nacht nicht fehlen. Eine Woche im Wald mit abendlichem Lagerfeuer ist für eine Maturareise als Schlusspunkt einer Ära dann doch zu wenig feierlich. Ein reines „Partycamp“ ist jedoch schon allein deswegen unattraktiv, weil es den Verzicht auf das Reiseerlebnis vor Ort bedeuten würde. Hier zeichnet sich deutlich die Reiseerfahrung der jungen Menschen sowohl mit ihren Familien als auch mit Freund*innen ab. Verzicht wird hier eher in der Verminderung der Vielfalt an Erfahrungen und Gestaltungsmöglichkeiten gesehen, was sich auch mit den Trends zum nachhaltigen Reisen deckt.

Afterwork im Reisebüro
Photo: NFI

 

Hält das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit nur bis zur Reisebuchung?

Mit den Erfahrungen von Reiseveranstalter Cooltours deckt sich das allerdings nicht. Obwohl die Schüler*innen durchaus Nachhaltigkeitsbewusstsein haben, ist die Nachhaltigkeit der Sprach- und insbesondere der Maturareise dann doch bei der Planung und Buchung eher nachrangig, so Geschäftsführer Heinrich Hochegger und Maturareiseexpertin Bettina Kager. Nach einer nachhaltigen Reise fragt auch hier niemand, es sei denn, es gibt im Klassenverband Wortführer*innen, für die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielt und die ihre Klassenkammerad*innen zu einer nachhaltigen Reise überreden – hier könnte also eine Art Gruppenzwang zur Nachhaltigkeit Wirkung zeigen. In der Branche werden Cooltours immer wieder belächelt, wenn sie die Worte „nachhaltig“ und „Maturareise“ kombiniert verwenden und in ihren Angeboten umsetzen. Trotzdem setzen sie auf Nachhaltigkeit als Mehrwert ihrer Produkte. Am Counter ist aber, wie auch in anderen Reisesegmenten, das Wissen und die Kompetenz der Mitarbeiter*innen gefragt, wenn es um die Zusammenstellung und den Verkauf nachhaltiger Angebote geht.

Welche Dimensionen der Nachhaltigkeit spielen außer dem Klima noch eine Rolle?

Die Scientists for Future haben sich ebenfalls mit dem Thema Matura- und Sprachreise auseinandergesetzt und ein Factsheet mit Tipps zur klimafreundlichen Klassen- und Maturareise für Schüler*innen verfasst (hier zum Download verfügbar https://at.scientists4future.org/2021/09/28/neues-factsheet-klimafreundliche-matura-und-sprachreisen/). Jenseits der Klimadiskussion spielt vor allem die soziale Nachhaltigkeit des Reiseerlebnisses eine Rolle und dabei vor allem dessen langfristige Wirkung im Leben der Reisenden, wie Martin Auer anhand des Beispiels seiner eigenen Reiseerfahrung darlegt. Als „Backpacker“ der ersten Stunde hat er den kulturellen Austausch auf Reisen zwar nicht in der Gruppe erlebt, hat aber durchaus die Erfahrung gemacht, dass lokal geführte Touren in kleinen Gruppen Türen zum kulturellen Austausch öffnen können, die sonst verschlossen oder unentdeckt bleiben. Diese Erfahrungen sind es, die ein Leben lang in Erinnerung bleiben und gerade bei jungen Menschen oft Anlass zu richtungsweisenden Entscheidungen in der eigenen Lebensführung bzw. der persönlichen wie beruflichen Entwicklung geben können.
Einen moderierten kulturellen Austausch hält auch Ida Ploner für wertvoll und wünschenswert und auch Heinrich Hochegger hat mit Cooltours damit sehr gute Erfahrungen gemacht, vor allem bei Sprachreisen.
 
Wie kann eine nachhaltige Maturareise nun idealerweise aussehen?

Nun kann man aus alledem schließen, dass die Maturareise die perfekte Gelegenheit für eine längere und langsamere Reise mit klimafreundlichen Verkehrsmitteln, kulturellem Austausch mit Gleichaltrigen und Stärkung der Gruppe sein könnte. Dabei stehen individuelle Gestaltungsmöglichkeit und Zusammensetzung der Reise, Freiraum für eine gemeinsame Zeit im Klassenverband, sicherer Raum für moderierten kulturellen Austausch und gemeinsames Feiern im Zentrum. In der Praxis stellt sich dabei allerdings die Frage nach der Umsetzung.

Ist eine lange, erdgebundene, individuell gestaltbare Maturareise mit kulturellem Austauschprogramm als Produkt überhaupt machbar?

Für Reisebüros bedeutet sie die Forderung nach der berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Hier stehen sich die Freiheit und Spontanität des Individualtourismus und die Machbarkeit und Dynamik einer Gruppenreise gegenüber. Unter den Anbietern herrscht Einigkeit darüber, dass ein solches Angebot extrem aufwändig in der Vorbereitung und letztendlich unbezahlbar wäre. Die Lösung sind nachhaltige Reiseangebote, die als Gesamtpaket gebucht werden können, wobei die Nachhaltigkeit dabei nicht extra ausgewiesen sein muss, sondern eher der Normalfall sein sollte. Laut aktueller Trends wird die Nachhaltigkeit in Zukunft immer mehr als eine Grundvoraussetzung gesehen (siehe auch unsere Nachlese zum Afterwork vom 12.11.2020 mit Zukunftsforscherin Birgit Gebhardt; https://www.nf-int.org/themen/nachhaltiger-tourismus/aktivitaeten/die-krise-als-entstehungsraum-fuer-neue). Hier liegt die entsprechende Beratung und der Verkauf, wie bereits erwähnt, in Händen der Menschen am Counter.

Welche Herausforderungen bedeutet es für Anbieter?

In der Gruppe zu reisen, unabhängig von Alter und Kontext, hat gewisse Besonderheiten, die es zu beachten gilt. Gerade bei der Maturareise ist die gemeinsame Zeit besonders wichtig, da man eine gemeinsam durchlebte Zeit abschließt, und sich vermutlich nicht mehr in dieser Kombination sehen wird. Und dann wäre da noch das vermeintlich verstaubte Image von Gruppenreisen.

Welchen Mehrwert hat das Produkt „nachhaltige Maturareise“?

Ida Ploner sieht in einem Angebot an nachhaltigen Maturareisen eine Erleichterung für die mit der Planung beauftragten Schüler*innen. Sie müssen zusätzlich zum Maturastress auch noch die Reiseplanung mit allen Wünschen und Bedürfnissen der Kolleg*innen unter einen Hut bringen. Die Planung und Buchung aus dem Katalog sieht sie als bequeme und auch nachhaltige Lösung, weil man ja lokal konsumiert. Auch die Vorteile von verlässlichen Ansprechpartner*innen sieht sie durchaus positiv. Einzige Einschränkung ist die begrenzte individuelle Gestaltbarkeit, die eine geplante Gruppenreise mit sich bringt.
Heinrich Hochegger sieht diese Einschränkung in der Praxis nicht. Man solle sich nur die Frage stellen, wie oft man bei spontanen Reisen schon selbst Kompromisse z.B. bei der Unterkunft eingehen musste, weil am gewünschten Ort gerade kein Zimmer mehr frei war. Dieses und auch andere Probleme vervielfältigen sich noch, wenn man als Gruppe reist. Noch dazu, wo Maturagruppen oft bei Unterkünften nicht beliebt sind und eher inkompatibel mit anderen Gästen wie z.B. Familien.

Ist die Reise in der Gruppe tatsächlich nachhaltiger als das individuelle Reisen?

„Wie immer lautet die Antwort hier: Das kommt ganz darauf an“, so Julia Balatka von JB Travel. Dabei spielt neben Anreise und Programm vor allem die Größe der Gruppe in Kombination mit dem besuchten Ort eine Rolle, also die Verträglichkeit. Große Gruppen sind in Großstädten kein Problem, während sie in Erholungsgebieten der Erholung nicht dienlich sind. In Naturschutzgebieten oder anderen Destinationen, die begrenzte Kapazitäten haben, sind Gruppen tatsächlich die nachhaltigere Reiseform und oft auch die einzig mögliche. So werden beispielsweise zum Gorilla Trekking in Uganda nur eine begrenzte Anzahl von Kleingruppen von maximal 6 Personen jedes Jahr zugelassen.
Auch der tiefgehende kulturelle Austausch ist im organisierten und gut moderierten Rahmen einer geschlossenen Gruppe viel besser möglich, allein schon durch die kulturelle Übersetzungskompetenz der Reiseleiter*innen und der Überwindung von Sprachbarrieren, so Elisabeth Kneissl-Neumayer. Auch der Austausch innerhalb der Reisegruppe über das Erlebte am Ende eines eindrucksvollen Tages ist ein nachhaltiger Reisebestandteil.

Welche Besonderheiten sind bei Reisen in der Gruppe zu berücksichtigen?

Bei Kneissl Touristik hat man die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die Gruppenreisen buchen, ihren fixen Platz in einer Gruppe sehr schätzen. Die Sicherheit für einen bestimmten Zeitraum fester Bestandteil einer Gemeinschaft zu sein, ist ein nicht zu unterschätzendes Reisemotiv für viele Menschen jeden Alters, so Sabine Schaller. Die Begegnung mit Gleichgesinnten, ob nun für Paare oder Alleinreisende, ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Immerhin erkundet man einen Ort, den man spannend findet, gemeinsam und hat jederzeit Gesprächsstoff und Möglichkeit zum Austausch. Nachhaltigkeit wird auch hier mitgebucht und bei Kneissl Touristik als Geschenk an die Kund*innen bezeichnet, die es auch als Qualitätsmerkmal gerne annehmen.
Die Sicherheit ist ein weiteres Argument für eine Gruppenreise. Sie bietet die Sicherheit der bekannten Gruppe sowie der professionell geführten Reise. Fixe Ansprechpartner*innen zu haben, ist gerade jetzt für viele Menschen in Thema und auch für junge Menschen durchaus ein Mehrwert.
Michaela Reisinger vom Lebensart Magazin sieht durchaus einen Trend zur nachhaltigen Gruppenreise, weil gemeinsame Interessen und entsprechende „Blasen“ auch beim Reisen verbinden.

Wie kam die Gruppenreise jenseits der Maturareise zu ihrem verstaubten Image ­– und ist das noch aktuell?

Reiseverhalten ist heutzutage nichts Vererbtes mehr, meint Sabine Schaller von Kneissl Touristik. Junge Menschen setzen das Reiseverhalten ihrer Familien nicht automatisch fort, sondern machen ihre eigenen Reiseerfahrungen. Je nach Lebensabschnitt variiert auch die Reiseform. Die meisten Menschen finden im dritten Lebensdrittel wieder zur Gruppenreise zurück, oft wenn sie eine gewisse Art der Gemeinschaft suchen, die sie selbst wählen möchten. Das Image sieht sie nicht als verstaubt, sondern als lebensabschnittsrelevant.
Marlene Bacher von Bacher Reisen beklagt hingegen das schlechte Image der Gruppenreise im Bus, obwohl Busse eine der klimafreundlichsten Arten der Fortbewegung sind und dazu individuell und flexibel planbar.

Kann die nachhaltige Maturareise als Einstiegsprodukt für zukünftige nachhaltige Gruppenreisen genützt werden?

Auf jeden Fall, wenn das Angebot nachhaltig gestaltet ist. Besonders wenn die Gruppenreise vielleicht um eine erweiterte Definition angereichert werden könnte, denn auch gemeinsam reisende Familien oder Freundeskreise sind Gruppen, auch wenn sie sich nicht als solche definieren. Hier könnte an der Wahrnehmung angesetzt werden und das nachhaltige Reiseverhalten von Gruppen und Individualreisen kombiniert und in die Angebote übernommen werden.
Michaela Reisinger sieht definitiv einen Trend zur Gemeinschaft auch beim Reisen. Immerhin sind die meisten Reisemotive gemeinsame Interessen. Nachhaltigkeit als Geschenk von der Branche für die Branche und die Allgemeinheit sieht sie definitiv als zukunftsweisenden Trend. Sie bedankt sich bei allen Anbietern für das wachsende Angebot an nachhaltigen Reisen und freut sich auf viele weitere – auch für die ganz Jungen als positiven Einstieg in das genussvolle nachhaltige Reisen.