Infomail Wissenschaft Nr. 6 (Februar 2021)

 

INHALT

 

Welche sozialen und ökonomischen Einschränkungen hat der klimaschonende Lebensstil?
von SANDRA MACHER, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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COVID-19 und seine Auswirkungen auf den Tourismus in Gambia
Interview mit ADAMAH BAH, Tourismusexperte des Institute of Travel and Tourism of The Gambia
Lesen Sie in unserem tourism_LOG weiter.

Degrowth im Tourismus anstelle von Overtourismus
Forschungsprojekt im Rahmen einer Masterarbeit an der FH JOANNEUM über das verborgene Potenzial einer postwachstumsorientierten Tourismusentwicklung zur Vermeidung von Übertourismus
von LUKAS SCHILCHER, Student im Studiengang Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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Braucht nachhaltiger Tourismus (mehr) Populismus?
ein Diskurs zwischen CORNELIA KÜHHAS (respect_NFI) & HARALD A. FRIEDL (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)
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Welche sozialen und ökonomischen Einschränkungen hat der klimaschonende Lebensstil?

Von Sandra Macher, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg

Sandra Macher
Sandra Macher (Foto: FH Joanneum Bad Gleichenberg)

Klimaschonend leben klingt in erster Linie nach bewusstem Leben im Einklang mit der natürlichen Umwelt. Doch was, wenn das soziale Umfeld andere Werte hat? Kann man in unserer Gesellschaft wirklich klimaschonend leben und gleichzeitig ein „ganz normales“ Leben wie jeder andere führen? Dieser Beitrag berichtet von den Ergebnissen einer Studie über soziale und ökonomische Einschränkungen, die ein klimaschonender Lebensstil mit sich bringen kann. Zum Lebensstil gehört heutzutage auch das Reisen und es soll geklärt werden, wie klimaschonende Menschen reisen und was ihnen dabei wichtig ist.  

Am Klimawandel und an der rasanten Erderwärmung sind wissenschaftlich erwiesen wir Menschen „schuld“. Die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher sichtbar, und Begriffe wie „Klimaschutz“ werden in unserer Gesellschaft immer häufiger verwendet. Nur wenige durchführbare politische Lösungen existieren bislang für dieses globale Problem. Aus diesem Grund beginnen Menschen über ihren individuellen Lebens- und Reisestil zu reflektieren, und manche davon entscheiden sich für ihre persönliche Veränderung. Zu klimaschonenden Lebensstilen existieren bereits einige Studien, jedoch keine davon behandelt die Frage, ob ein solcher, klimaverträglicher Lebensstil auch sozial und ökonomisch verträglich sei.

 

Ruderboot
Foto: Cornelia Kühhas

Aus diesem Grund lag der Fokus der genannten Studie auf den Fragen: Welche Eigenschaften weisen klimaschonende Lebensstile auf? Gibt es bei der Praxis eines solchen Lebensstils soziale oder ökonomische Einschränkungen? Und wie wirkt sich ein solcher, klimafreundlicher Lebensstil auf das Reiseverhalten aus?

Neben einer strukturierten Literaturrecherche und der Erstellung einer Typologie von möglichen Ausprägungen klimaschonender Lebensstile wurden acht qualitative Interviews mit Personen geführt, die einem dieser Typen entsprachen. Dabei eröffneten diese Gespräche tiefe Einblicke in die Lebensgewohnheiten jener Individualisten, wodurch wertvolle Erkenntnisse über die persönlichen Herausforderungen bei der Umsetzung dieses bewusst gewählten, nachhaltigen Lebensstils identifiziert werden konnten:

Der Lebensstil, so wurde deutlich, sei grundsätzlich recht gut mit Familienmitgliedern, Kindern und Partnern vereinbar. Die Befragten berichteten allerdings von ihren Versuchen, das Verhalten des Partners zu beeinflussen, was zu entsprechenden Konflikten geführt habe. Derartige Interventionsversuche innerhalb einer Partnerschaft sind jedoch auch für „nicht-klimaschonende“ Beziehungen typisch. Als erfolgreicher und überzeugender als solche Manipulationsversuche oder Vorwürfe erweisen sich jedoch in der Regel eher gegenseitiges Verständnis und überzeugtes Vorleben von wertvoll erachteten Verhaltensweisen.

Was die FreundInnen der ProbandInnen angeht, so haben diese in der Regel sehr ähnliche oder gar gleiche Einstellungen und Werte wie die Befragten selbst. Sie gaben an, weniger Waren und Kleidung zu kaufen als Menschen mit einem so genannten „normalen“ Lebensstil, und sie begründeten dies damit, dass sie allgemein weniger brauchen würden. Auch wenn die meisten „klimaschonenden“ Produkte deutlich teurer seien, so gaben die Befragten dennoch an, dass sie keinesfalls mehr Geld ausgeben würden als Menschen, die mit ihrer Lebensweise keine Rücksicht auf ein unbelastetes Klima nehmen würden. Schwieriger werde es für die Befragten hingegen, wenn es darum gehe, auch das Berufsleben an den Anforderungen der Pariser Klimazielen auszurichten, weil hier der gesellschaftliche Druck höher und die Konsequenzen für unangepasstes Verhalten schmerzhafter seien. Als Strategie zur Lösung dieses Dilemmas verbanden manche der Probanden ihr bewusstes Bekenntnis zu Klimaschutz auch mit ihrem Beruf. Ein Beispiel hierfür wäre Bernd Pfleger, welcher sich mit seinen „Experience Wilderness Touren und Naturreisen“ darauf spezialisiert hat, den ReiseteilnehmerInnen emotionale Naturerlebnisse und Erfahrungen in der Wildnis zu bieten. Dazu muss er nicht unbedingt nach Afrika fliegen, denn sagenhafte Naturwunder bieten sich auch in großer Zahl – noch – in Europa, ja sogar in Österreichs Nationalparks. Bernd Pfleger möchte die ReiseteilnehmerInnen auf diese Weise für umweltbewussteres Verhalten begeistern; andererseits möchte er mit seiner Arbeit der Wildnis einen Wert geben und der lokalen Bevölkerung ein Einkommen bieten, um auf diese Weise die ökologische mit der ökonomischen und der sozialen Nachhaltigkeit zu verbinden. Denn auch das ist ein unverzichtbarer Teil von Klimaschutz.

 

Bernd Pfleger Experience Wilderness
Bernd Pfleger Experience Wilderness (Foto: Hanns Kirchmeier)

Nach der Analyse ihres Reiseverhaltens lässt sich feststellen, dass klimaschonend lebende Menschen gerne günstigere Bus- und Bahntickets hätten und sich wünschen, dass Flugtickets teurer werden. Wichtig für klimaschonend Reisende sind Unterkünfte mit Umweltzertifikaten und die Möglichkeit, fremde Menschen und Kulturen kennen zu lernen. Eine Herausforderung für eine Interviewpartnerin war eine Reise nach Portugal mit ihren „nicht-klimaschonend-lebenden“ Freunden, welche auf keinen Fall aufgrund des Kosten- und Zeitfaktors mittels Zug anreisen wollten, worauf die Probandin klein beigegeben und – mit schlechtem Gewissen – das Flugzeug genommen hatte.

Der klimaschonende Lebensstil kann somit mit sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen verbunden sein. Es konnte jedoch nicht bestätigt werden, dass sich dieser Lebensstil negativ auf das finanzielle und wirtschaftliche Leben auswirke; vielmehr bringe er zum Teil auch Kostenvorteile mit sich. Unabhängig von den individuellen Bedürfnissen der ProbandInnen kritisierten alle Befragten das geringe Angebot an klimaschonenden Reiseangeboten in Österreich. Hier war der Wunsch nach einer größeren Vielfalt an klimaschonenden Urlaubsalternativen und touristischen Produkten unüberhörbar.

Die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse dienen als soziologische Lebensstil- und Zielgruppenforschung für Tourismusakteure und Unternehmen, die den dynamischen Tourismusmarkt durch Anpassung an die globale Erwärmung und die sich verändernde Gesellschaft erfolgreich und nachhaltig bedienen wollen. Die Erkenntnisse geben insbesondere den politischen Akteuren den Anstoß, die Fahrpreise für den öffentlichen Bus- und Bahnverkehr zu senken. Im Bereich des klimaschonenden Reisens dient diese Arbeit für die österreichischen Tourismusakteure als erste Möglichkeit, diese Zielgruppe besser kennen zu lernen und darauf aufbauend weiterführende Zielgruppen- und Marktforschung zu betreiben. Darüber hinaus dient sie als Grundlage für weitere qualitative und quantitative Forschung zu diesem aktuellen und hochspannenden Thema.

 


 

Degrowth im Tourismus anstelle von Overtourismus

Ein Forschungsprojekt im Rahmen einer Masterarbeit an der FH JOANNEUM über das verborgene Potenzial einer postwachstumsorientierten Tourismusentwicklung zur Vermeidung von Übertourismus

von LUKAS SCHILCHER, Student im Masterstudiengang "Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement" an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg

 

Lukas Schilcher
Lukas Schilcher (Foto: privat)

 

Das Auftreten von massentouristischen Phänomenen und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf das Öko- und Gesellschaftssystem stehen heute sinnbildlich für das jahrzehntelange Wachstum im Tourismus. Vor allem die Ökosysteme in Küstengebieten, Gebirgsregionen und Süßwassergewässern werden durch eine hohe touristische Nutzungsintensität stark beeinträchtigt. Aber auch die Lebensqualität der Menschen, die in touristischen Hotspots leben, wird durch eine hohe Gästedichte eingeschränkt.

Vor allem das massentouristische Phänomen Übertourismus oder „Overtourism“ stellt heute zahlreiche touristische Destinationen vor neue Herausforderungen. Übertourismus beeinträchtigt vor allem die Funktionstüchtigkeit des Gesellschaftssystems. Nicht nur die Lebensqualität der lokalen Bevölkerung verschlechtert sich durch eine hohe Anzahl von Besucher*innen, die sich zeitlich oder räumlich innerhalb einer Tourismusdestination konzentrieren. Auch die damit verbundenen Folgeerscheinungen, wie die Touristifizierung der lokalen Infrastruktur, das tourismusbedingte Abfallaufkommen oder die vorwiegend durch den Verkehr verursachte Lärmbelästigung, sind touristische Spuren, die den Einheimischen bleiben, wenn die Gäste wieder fort sind. Ebenso können Konflikte, die zwischen der lokalen Bevölkerung und den Reisenden auftreten, die friedliche Koexistenz am Reisezielort stören.

 

Lisa Schopper
Foto: Lisa Schopper

 

Nachteilige soziokulturelle Folgen der Tourismus- und Freizeitwirtschaft, wie etwa eine geringe Entlohnung der Angestellten, eine hohe, auf kurzfristige Gewinne ausgerichtete Investitionstätigkeit von ausländischen Kapitalanleger*innen sowie tourismusinduzierte Preissteigerungen für Güter, Dienstleistungen und Landflächen, sind einige der kritischen Auswirkungen von Übertourismus. Sie bestätigen den Autor in der Annahme, dass eine fehlgeleitete Tourismusentwicklung, die im Paradigma des unendlichen Wirtschaftswachstums fußt, zur Ungleichverteilung von Einkommen und zur Konzentration von Reichtum beitragen kann.

Zudem begünstigt die seit Jahrzehnten steigende Wirtschaftsaktivität im Tourismus das Auftreten von unerwünschten Umweltproblemen, die sich stetig weiter verschärfen. Die steigende anthropogene Flächenerschließung zur Errichtung von touristischer Infrastruktur sowie die Ausübung von landschaftsbezogenen Freizeitaktivitäten tragen nachweislich zum Rückgang der biologischen Vielfalt bei. Zudem manifestiert sich eine erhöhte Reisetätigkeit auch in einem steigenden Rohstoff- und Energieverbrauch. Vor allem die durch den touristischen Verkehr verursachten Treibhausgasemissionen tragen zur Beschleunigung des anthropogenen Klimawandels bei.

Da die Tourismus- und Freizeitindustrie als Verursacher für die angeführten Probleme genannt werden muss, steht fest, dass ein ausschließlich auf Wachstum ausgerichtetes Tourismussystem als nicht zukunftsfähig angesehen werden könne. Durch das unermüdliche Streben nach immer höher steigenden Gästeanzahlen werden die ökologischen und soziokulturellen Grenzen früher erreicht oder noch weiter überschritten.
Bisher ist es nicht gelungen, das Problem Übertourismus, unter welchen viele Tourismusdestinationen leiden, ernsthaft in den Griff zu bekommen. Auch nach Ende der COVID-19-Pandemie wird Übertourismus in einer veränderten Struktur wieder aufblühen, da sich das hochgradig vernetzte Tourismussystem innerhalb der auch weiterhin bestehenden Infra- und Kapitalstruktur nicht ändern wird und dessen Gesetzmäßigkeiten darum notwendig gleichbleiben.

 

Strand Nizza
Foto: Cornelia Kühhas

 

Vor diesem Hintergrund stellt sich Lukas Schilcher im Rahmen seines Forschungsprojekts an der FH JOANNEUM die Frage, inwieweit die Kernpositionen des Postwachstums-Ansatzes sowie dessen theoretische Stärken und Schwächen zur sachgerechten Lösung von Übertourismus beitragen können. Nachdem die ursächlichen Gründe und nachteiligen Folgen von Overtourismus diskutiert wurden, werden die zentralen Thesen von Degrowth sowie analoge Ansätze mit der Tourismuswirtschaft verknüpft. Ausgehend von einem konzipierten Modell zu einer postwachstumsorientierten Tourismusentwicklung sollen abschließend mögliche Handlungsempfehlungen, die das Auftreten von Übertourismus verhindern können, formuliert werden.

Die Forschungsgrundlage dieser Arbeit bilden bisherige Publikationen in den Themenfeldern Degrowth, Postwachstum und Übertourismus. Im Rahmen der empirischen Erhebung werden leitfadengestützte Interviewgespräche mit Expert*innen aus den Fachbereichen der Postwachstumsökonomie oder des Nachhaltigen Tourismus geführt.

Die Masterarbeit richtet sich primär an Angehörige von Hochschulen, die sich mit verschiedenen wirtschaftlichen Konzepten auf dem breiten Forschungsgebiet der Pluralen Ökonomik der Nachhaltigkeit bzw. mit Phänomenen der touristischen Überbeanspruchung beschäftigen. Von großem Nutzen kann diese Arbeit auch für Entscheidungsträger und Mitarbeiter von Destinationsmanagementorganisationen sein, die sich zukünftig verstärkt mit alternativen Tourismuskonzepten abseits des Wachstumsparadigmas auseinandersetzen möchten.

 

Über den Autor:
LUKAS SCHILCHER ist Student am Masterstudiengang „Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement“ an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg. Am Fachbereich "Nachhaltige Wirtschaft" der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde absolviert er derzeit im Rahmen eines internationalen Studierendenaustausches sein drittes Studiensemester.

 


 

Braucht nachhaltiger Tourismus (mehr) Populismus?

Ein Diskurs zwischen Cornelia Kühhas (respect_NFI) & Harald A. Friedl (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)

 

Wegweiser
Foto: Cornelia Kühhas

 

Seit Jahrzehnten machen NGOs, WissenschafterInnen und auch Tourismusfachleute auf die negativen ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen des (Massen-)Tourismus aufmerksam und zeigen Wege in eine nachhaltige Zukunft der Branche auf. Eine Trendwende in diese Richtung ist bislang nicht gelungen. Wie kann sie beschleunigt werden? Welche Strategien braucht es – etwa auch mehr Populismus?

Cornelia Kühhas, Expertin für Nachhaltige Tourismusentwicklung und Entwicklungszusammenarbeit bei respect_NFI, und Harald A. Friedl, Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg, wagten wieder das Vergnügen eines Diskurses über diese strittige Frage …


Cornelia Kühhas: Populismus ist oft die Reaktion auf eine Krise, auf eine Bedrohung. Aber Populismus verbinde ich mit Angstmache, Schwarz-Weiß-Malerei. Populismus ist zudem davon geprägt, dass „die Anderen“ an den Pranger gestellt werden. Über andere zu schimpfen fällt dann leicht – das eigene Verhalten wird so aber wohl kaum reflektiert. Aber genau das wäre im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung des Tourismus wichtig.

Harald A. Friedl: Das ist sicher eine verbreitete Zugangsweise, denn zugegebenermaßen wird Populismus gerne von extremistischen politischen Richtungen missbraucht.
Allerdings trägt Populismus auch ein demokratisches Element in sich, das bislang wenig Berücksichtigung fand: der Anspruch, dass die politische Botschaft auch jene Menschen anspricht, die keinen Doktor in Philosophie oder eine humanistische Matura erworben haben – Menschen aus bildungsfernen Schichten, die in den meisten Ländern der Welt die Mehrheit darstellen. Darum halte ich Menschen, die über komplexe Zusammenhänge auch kompliziert und abstrakt schreiben und reden, entweder für unfähig, diese Dinge auch einfach zu vermitteln, oder für arrogant, weil sie sich nicht auf das „Niveau“ bildungsferner Menschen herablassen wollen. Dem gegenüber fordert das Prinzip „Denke wie ein Philosoph, aber rede wie ein Bauer“ Personen intellektuell und kommunikativ heraus, die mit schwierigen Themen auch einfache Menschen erreichen und bewegen wollen: Letztlich bedeutet dies, sich auf diese Menschen einzulassen. Und das ist schwierig!

Kühhas: Hier gebe ich Dir Recht. Komplexe Themen wie nachhaltigen Tourismus einfach herunterzubrechen und einfach zu kommunizieren, ist eine Herausforderung – das weiß ich aus eigener Erfahrung bei meiner Arbeit für respect_NFI … Denn auch unser Anliegen ist es, die Menschen für nachhaltigen Tourismus, für faires Reisen zu begeistern. Meine Erfahrung ist, dass die Menschen zu wenig wissen. Hier muss man am ehesten ansetzen. Es braucht Aufklärung, Erklärungen und Information.

Ganz wichtig ist aber auch die Vermittlung eines guten Gefühls, eines „Wohlfühlfaktors“ inklusive schöner Erlebnisse und Erfahrungen und netter Begegnungen, den nachhaltiger Tourismus bietet. Statt Populismus würde ich also eher auf eine sachliche Diskussion setzen, und auf Good-Practice-Beispiele, auf positive Emotionen sowie Menschen, die das vorleben, wie Role Models, Influencer u.a.

 

Hallstatt
Foto: Lisa Schopper

 

Friedl: So sehr es mich auch schmerzt das zu fragen: Bei wie vielen Menschen haben sachliche Diskussionen zur Veränderung des eigenen Verhaltens beigetragen?

Aber Du hast völlig Recht, dass die Menschen viel zu wenig wissen. Ich merke das bei mir selbst: Je mehr ich mich mit Tourismus, Nachhaltigkeit und Klimawandel beschäftige, desto mehr erkenne ich die enorme Komplexität des Themas – und im Vergleich dazu meine verschwindend geringe Kompetenz.
Doch was sollte die Konsequenz daraus sein? Bis an mein Lebensende zu forschen, aber nur ja niemanden zu erreichen und zu bewegen versuchen aus Angst, ich könnte etwas „Falsches“ sagen?

Ich bin überzeugt davon, dass wir in einer komplexen Welt zunehmend mit Ungewissheit umzugehen lernen müssen, gerade als ForscherInnen, LehrerInnen und überzeugte FürsprecherInnen für eine nachhaltige Transition – oder populistisch formuliert: für ein dauerhaft gutes Leben ohne das Erbe einer ausgebeuteten Schöpfung für unsere Enkerln. Mir ist klar, dass der Versuch der Begeisterung von Menschen – auch für eine gute Sache – immer Verkürzungen in Kauf nehmen muss. Aber eine Verkürzung, die einen Menschen anspricht und sogar dafür entfacht, sich dem Thema des respektvollen, klimafreundlichen und umweltschonenden Reisens zu öffnen, scheint mir das Risiko eines möglichen Irrtums über Fakten wert zu sein.

Kühhas: Stichwort „Respekt“: Gerade beim Thema Tourismus möchte ich das „Gemeinsame“ und die Menschen stärker in den Fokus rücken. Schließlich wird die Tourismuswirtschaft von Menschen „getragen“, seien es Reisende, Mitarbeitende oder GastgeberInnen. Daher denke ich, dass eine nachhaltige Entwicklung nur gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen und nicht, wenn die Menschen mit populistischen Slogans gegeneinander ausgespielt werden. Für ein gutes Miteinander braucht es nicht mehr Populismus, sondern mehr Besonnenheit und Reflexion!

Friedl: Das ist völlig richtig und entspricht den Prinzipien der Bildung für nachhaltige Entwicklung, von der nur leider die meisten LehrerInnen noch niemals etwas gehört haben dürften. Auch Reflexion und Kritikfähigkeit ist in unserem Bildungssystem noch viel zu wenig verankert, weil es herausfordert – SchülerInnen und Studierende wie auch Lehrende. Unser Bildungssystem beruht über weite Strecken gleichermaßen auf der vorherrschenden Konsumkultur, wie der Tourismus: Die Menschen werden tendenziell darauf abgerichtet, sich von Autoritäten mit „Leckerbissen“ abspeisen zu lassen, anstatt sich selbstkritisch in den Spiegel zu blicken. Und genau so macht es auch der traditionelle politische Populismus. Doch die so geprägten Menschen kann man nicht plötzlich mit differenzierten Gedanken aus ihren Denk- und Handlungsmuster-Gebäuden herauslocken. Das geht – hier gebe ich Dir aus tiefer Überzeugung Recht – nur, indem die Emotionen der Menschen angesprochen werden!

Genau darum geht es: Bewegungen, die sich für eine nachhaltige Welt einsetzen und dafür Menschen gewinnen wollen, müssen diese Menschen zunächst dort abholen, wo sie stehen: in ihrer Emotionalität, mit klaren, griffigen, positiven Botschaften. Hier können wir gerade von der professionellen Tourismus-Werbung sehr viel lernen, wir dürfen uns nur nicht zu schade dafür sein.

 

meer
Foto: Lisa Schopper

 

Kühhas: Ja, gerade beim Thema nachhaltiger Tourismus sollten die Gefühle angesprochen werden. Doch die Tourismusunternehmen selbst wird man allein mit Emotionen, aber auch mit populistischen Argumenten nicht auf einen nachhaltigen Weg bringen, sondern nur mit Anreizen und vor allem mit Gesetzen, die sie einhalten müssen.

Friedl: Abermals „touché“, nur leben wir auch in einer Demokratie, und PolitikerInnen machen ihre Politik, um wiedergewählt zu werden. Die Grünen in der aktuellen Bundesregierung verdanken ihren Wahlsieg dem „Schmähtandler“ Werner Kogler, während sie mit der feinsinnigen und hoch kompetenten EU-Politikerin Ulrike Lunacek aus dem Parlament geflogen waren. Und derzeit schweigt der Grüne Regierungspartner auch (noch) angesichts der Dramen in Moria, um die Koalition nicht zu sprengen und damit einer möglichen Neuauflage für Türkis-Blau die Türe zu öffnen: Das wäre aber das totale Aus für die Chance auf entsprechende nachhaltigkeitsorientierte Tourismusgesetze. Insofern ist Populismus letztlich der Preis, den zu zahlen hat, der von einer breiten Öffentlichkeit abhängig ist: „Panem et circenses“ – Brot und Spiele will das Volk …

Hoch differenziert im Elfenbeinturm über das Wesen der Dinge nachzudenken, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse einer breiten Leserschicht oder der „normalen“ Studierenden zu nehmen, muss man sich leisten können. Genau das meinte Platon mit seinem idealen Staat, an dessen Spitze er einen Philosophenkönig stellte, unter ihn das Militär zur Durchsetzung jener weisen Beschlüsse, und an der Basis der Pyramide die macht- und geistlosen Bauern und Sklaven.

Da versuche ich doch lieber mit flotten Sprüchen und emotionalisierenden Geschichten die Menschen für etwas zu gewinnen … auch wenn es äußerst schwierig ist, Nachhaltigkeit im Tourismus „sexy“ zu vermitteln.