Info-Mail Oktober 2025

Treffen sich zwei Touristen. Fragt der Eine den anderen: Was haben Kasachstan und Hallstatt gemeinsam? ... Übertourismus!
Eine Einladung nach Kasachstan zu Forschungen über nachhaltigen Tourismus klang für Harald A. Friedl wie ein abenteuerlicher Traum. Zentralasien … suggerierte grüne Weiten, unendliche Forschungsperspektiven. Doch die Suche nach lohnenden Forschungsthemen entpuppte sich als Schatzsuche: hoffnungsvolle Indizien und unübersehbare Spuren inspirierten zu fantastischen Thesen, die zuletzt an der Realität dieser fernen Kultur zerplatzten. Erst im allerletzten Moment stieß der Nachhaltigkeitsforscher auf „wissenschaftliches Gold“: auf mögliche Parallelen zwischen Übertourismus in Kasachstan und Hallstatt …
VON HARALD A. FRIEDL
Abenteuer beginnen oft durch seltsame Zufälle, wie eine beiläufige Frage einer kasachischen Kollegin, ob Harald Friedl Interesse an einem kasachischen Forschungsstipendium hätte. Abenteuer erleben kann nur, wer bereit ist, Gelegenheiten am Schopf zu packen. Nach dieser Devise sagte der Nachhaltigkeitsforscher vom Institut für Gesundheit und Tourismus Management der FH JOANNEU zu – und wurde fünf Monate später um sechs Uhr morgens wachgeläutet: Die internationale Abteilung der kasachischen Ualikhanov Universität in Kokshetau benötigte dringend ein Forschungskonzept für die staatliche Stipendiatsabteilung …
So abenteuerlich wie es begonnen hatte, ging es weiter: Anfang August im grünen Norden Kasachstans angekommen, keine 200 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, wurde Dr. Friedl von den Honoratioren der Universität freundlichst begrüßt – auf Russisch. Übersetzt wurde von der brillanten Forschungsassistentin Aza Yevloyeva, die für die nächsten vier Wochen das interkulturelle Vermittlungsmonopol innehatte. Englisch ist unter kasachischen Akademiker*innen so verbreitet wie in Österreich in den 1950er-Jahren.

Dies hielt mutige Kolleg*innen der Fakultät für Management nicht davon ab, an gemeinsamen Diskussionen über Forschungskultur, Nachhaltigkeit und Übertourismus teilzunehmen und gemeinsame Feldforschungen zu unternehmen.
Dabei durfte Friedl eine Zeitreise erleben. Denn Kasachstan, bis vor 35 autoritär sowjetisch beherrscht, durchläuft einen weitreichenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Wandel. In den Städten prägen Pizza-, Döner- und Handyshops neben stalinistischen Monumenten das Stadtbild. Wo sich die wenig verbliebenen Naturräume finden, wird Naturtourismus als ökonomische Chance entdeckt und boomt.
Dabei öffnen sich historische Einblicke in die frühen Zeiten eines Tiroler Tourismus, wie er Felix Mitterer zur Piefke Saga inspiriert hatte. Denn wie einst die „Piefkes“ mit ihren Mercedes, so rollen heute die – stark urbanisierten – Kasach*innen sowie zahlreiche Russ*innen mit ihren SUVs in den Nationalpark Burabay …
Burabay ist der Inbegriff einer touristischen Idylle: Berge, Wälder, Seen – ein alpin anmutendes Paradies inmitten einer unendlichen, grünen Wüste. Zu dieser touristischen Oase zieht es während der Hochsaison tausende Autofahrer*innen, die für ein paar Selfies in der „Natur“ stundenlang im Stau zu stehen bereit sind. Welche erstaunlichen Parallelen zu Hallstatt!


Welche Mechanismen wirken in der touristischen Kultur, sodass Menschen in Scharen zu solchen ikonografischen Orten pilgern? Und was hält die dort lebenden und leidenden Menschen davon ab, sich gegen diese Massen zu wehren? Klare Grenzen zu setzen? Gar hohe Eintritte zu verlangen? Fragen, die sich an zahlreichen, von Übertourismus geplagten Orten der Welt stellen – wie etwa auch in Hallstatt. Doch überall werden Zugangskontrollen tabuisiert. Warum ist das so?
Damit war Harald Friedl mit seinen kasachischen Kolleg*innen auf eine wirklich spannende Frage gestoßen, an der derzeit gearbeitet – und in weiterer Folge, nämlich bereits im nächsten Info-Mail im November 2025, wieder berichtet wird.
Über den Autor:

HARALD A. FRIEDL ist assoz. Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für „Gesundheits- und Tourismusmanagement“ an der FH JOANNEUM – University of Applied Sciences – in Bad Gleichenberg, Österreich. Der Jurist und promovierte Ethiker war international als Touristiker tätig. Seine aktuelle Forschung fokussiert auf interkulturelle Kommunikation und Förderung von Transition in Richtung Nachhaltigkeit und Digitalisierung, Technikfolgenabschätzung und auf gesundheitsförderliche, ethisch verträgliche Tourismusprodukte. Er ist Mitglied des Wissenschaftsbeirates des „Tourism Panel on Climate Change“ (TPCC). Kontakt: harald.friedl@fh-joanneum.at